Gott des Trostes



Predigt zu 2. Korinther 1,3-7 am Sonntag Lätare

„Wenn das Leben grad zu allem schweigt
dir noch eine Antwort schuldig bleibt
dir nichts andres zuzurufen scheint als Nein
Es geht vorbei“
Der Popsänger Andreas Bourani ist zurzeit mit seinem melancholischen Lied „Hey“ zu hören auf allen Kanälen:
„Wenn der Sinn von allem sich nicht zeigt
sich tarnt bis zur Unkenntlichkeit
wenn etwas hilft mit Sicherheit, dann Zeit
Es geht vorbei, es geht vorbei“
Die Allgegenwart des Songs spiegelt unsere Kultur des Funktionieren-Müssens. Du kannst Dich ja nicht hängen lassen. Und was daherkommt wie ein Akt der Barmherzigkeit – hey, sei nicht so hart zu dir selbst - ist im Grund doch nichts anderes als ein erneuter Appell ans Weitergehen:
„Hey, sei nicht so hart zu dir selbst
es ist ok wenn du fällst
auch wenn alles zerbricht
geht es weiter für dich
Hey, sei nicht so hart zu dir selbst
auch wenn dich gar nichts mehr hält
du brauchst nur weiter zu geh'n
komm nicht auf Scherben zum steh'n“

Aber wenn die Kraft dazu nicht reicht? Wenn die Scherben spitz und verletzend, mich hindern, einfach weiterzugehen?

Wenn selbst sie nicht mehr hilft, die Zeit… nicht mehr hilft, Wunden zu heilen?

Was tröstet?

Ich ringe drum, nicht nur, weil es ein Teil meines Berufes ist, zu trösten. Ich ringe drum, weil ich darum weiß, wie trostlos Leben sein kann. Und – ja, auch das – weil ich eine Ahnung habe, wie trostlos unsere Welt ist.

Was tröstet jenseits der seichten Lieder und dort, wo die Zeit still zu stehen scheint, eben nichts vergeht. Mitten im Leiden, im Wüten der Welt, was tröstet?


II.
Liebe Gemeinde, der Apostel Paulus – vielleicht auch so ein Melancholiker – ringt um Trost. Diffamiert von Gegnern, fallen gelassen von Anhängern, bedrängt von der Obrigkeit…

Immerhin erste zarte Zeichen der Annäherung sind aus Korinth zu hören. Dorthin schreibt er vom Trost.

Ich lese uns 2. Korinther 1,3-7

Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Trübsal, damit wir auch trösten können, die in allerlei Trübsal sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott.

Denn wie die Leiden Christi reichlich über uns kommen, so werden wir auch reichlich getröstet durch Christus. Haben wir aber Trübsal, so geschieht es euch zu Trost und Heil. Haben wir Trost, so geschieht es zu eurem Trost, der sich wirksam erweist, wenn ihr mit Geduld dieselben Leiden ertragt, die auch wir leiden. Und unsre Hoffnung steht fest für euch, weil wir wissen: wie ihr an den Leiden teilhabt, so werdet ihr auch am Trost teilhaben.

III.
Liebe Gemeinde, ich weiß nicht, wie es ihnen ergangen ist, beim Hören des Textes: Verstanden hatte ich erstmal nicht viel, nur dies: Trost. Darum geht es.

Trost, dieses alte schöne deutsche Wort. Heute weitgehend negativ konnotiert als Trostpreis oder Trostpflaster. Als etwas, was keiner haben will.

Und dabei doch ein Wort, das von Halt und Kraft und innerer Festigkeit spricht. Es hat die gleiche Wurzel wie Vertrauen. Wenn es um Trost geht, dann geht es darum, dass ein Mensch das Vertrauen ins Leben wieder erlangt, wieder Boden unter den Füßen gewinnt, nicht zwingend zum Weitergehen, Aufrecht Stehen würde mir schon reichen – und sei es auf den Scherben des Lebens.

Das griechische Wort aus dem Urtext legt eine Fährte in die Richtung, aus der der Trost kommt. Es spricht vom Hinzu-Rufen. Ich kann mich schwerlich selber trösten. Ich brauche dazu die Hilfe und Unterstützung anderer.

Und was soll’n die tun, wie können die helfen?

IV.
In der antiken Umwelt des Paulus hat es einen ganzen Katalog an Trost-Strategien gegeben, die bis heute immer wieder angewendet werden, mal mehr, mal weniger hilfreich.

Etwa die Erinnerung an das erlebte Glück. Erinnerung sei das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können, lese ich dann über den Todesanzeigen. „Denke an das, was du mit dem Menschen, den du verloren hast, alles erlebt hast. Diese gelebte Zeit, die nimmt dir keiner mehr ab!“

Neben der Erinnerung an das vergangene Glück kennt die antike Trostliteratur auch den Hinweis auf das Gute, das bleibt. Es ist ja nie alles vorbei. Es ist ja noch was da. „Deine Frau ist tot, aber du hast ja noch die Kinder… Deine Tochter ist tot, aber sieh doch auf den Sohn, der bleibt. Du hast den Job verloren, aber du hast ja noch die Familie… Das Glas ist nicht halbleer sondern halbvoll. Denk positiv!“

Ich weiß nicht, wie weit dieser Trost zu tragen vermag. Ihn Ver-Tröstung zu nennen, liegt mir nahe.

Ich weiß auch nicht, ob es hilft, wie eine andere Strategie empfiehlt, das Leid einzusortieren in die Allgemeinheit: „Wir müssen alle sterben!“ Ja, aber warum soll ich nicht trotzdem am Tod eines geliebten Menschen leiden und verzweifeln? Was hilft es mir, zu wissen, dass es immer Menschen gibt, die es noch schlimmer trifft als mich? Ist nicht jedes Leid unvergleichbar? Und dennoch hören wir es oft und mag sich der ein oder die andere damit über Wasser halten. „Gewiss, es hätte noch viel Schlimmer kommen können!“ Aber tröstet es wirklich?

Vielleicht gab es darum auch die Empfehlung, das erlittene Leid einzuordnen in die Unendlichkeit des Alls. „Ist da Dein Leid nicht unendlich klein? Oder nur der Hauch einer Zeit im Raum der Ewigkeit… es geht vorbei…!“ Bourani steht in dieser Tradition.

In diese breite Tradition des Trostes und des Tröstens, liebe Gemeinde, eine Tradition, die uns bis heute begleitet und ihre Dienste tut, in diese Tradition bringt Paulus etwas grundsätzlich Neues und Andres.

V.
Er empfängt seinen Trost aus anderer Hand: Spricht mit den Schriften des jüdischen Glaubens von dem Gott des Trostes.

Wie reich ist das Alte Testament darin, uns diesen Gott des Trostes vor Augen zu malen, ihn, der uns tröstet, wie einen seine Mutter tröstet (Jes 66,13), den guten Hirten, dessen Stecken und Stab uns trösten (Ps 23,4) und der in die Welt ruft: „Tröstet, tröstet mein Volk!“ (Jes 40,1)

Der reichen Trostwelt des Alten Testamentes nun fügt Paulus einen neuen Gedanken hinzu: Den des leidenden Gottes.

Sein Trost wächst daraus, dass in Christus Gott selbst gelitten hat. Die Leiden Christi kommen über uns. Wir teilen sein Leid wie er unser Leid geteilt hat.

Es gibt kein Leiden in dem Gott nicht selbst mitleidet. Gott als Mit-leidender. Nicht als einer, der wie wir bei der Tagesschau auf dem Sofa sitzt und Mitleid empfindet, sondern einer, der selber im Leiden mitleidet.

Dem Apostel hilft das, im Leiden stehen zu können. Nicht zu fliehen. Nicht krampfhaft weitergehen zu müssen. Sondern auszuhalten und ertragen zu können.

Denn er weiß Gott an seiner Seite.

Mit ihm an der Seite, kann er gar auf Scherben stehen und hoffen.

Hoffen!

Denn Christi Leiden ist nicht ohne seine Verherrlichung zu bekennen, sein Kreuz nicht ohne die Auferstehung.

Wo Menschen mit Gott sterben, da werden sie auch mit ihm auferstehen. Das ist der Glaube des Apostels, sein Trost im Leben und im Sterben.

Wir haben Anteil am Leiden Christi und an seiner Auferstehung. Wir sind mit ihm gestorben in der Taufe, aber werden auch mit leben in Ewigkeit.

Wir, nicht ich allein. Denn in der Gemeinschaft der Christinnen und Christen leiden alle mit, wenn einer leidet und freuen sich alle, wenn einer sich freut: „Haben wir Trübsal, so geschieht es euch zu Trost und Heil. Haben wir Trost, so geschieht es zu eurem Trost…“ Denn: „Wie ihr an den Leiden teilhabt, so werdet ihr auch am Trost teilhaben.“

Eine Trostgemeinschaft im Glauben. Trost empfangen und weitergeben…Gemeinschaft haben untereinander und mit Christus, dem Gekreuzigten und Auferstanden.


VI.
Tröstet das? Gibt uns das den Boden unter den Füßen, Halt und Kraft zum Leben.

Ehrlich, ich weiß es nicht. Ich habe dafür nicht genug gelitten.

Aber erzählen kann ich von Menschen, die uns im Leiden voraus gingen, und sich auf dem Leidensbett innerlich aufrecht hielten am Kreuz an der Wand. Erzählen davon, dass an den gottlosesten Orten Menschen sich wiederfinden konnten im Ruf des Gekreuzigten: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Gerade in der Paradoxie, dass Gott die Gottlosigkeit teilt, ist er uns nahe. In allem Leide… nicht danach, wenn die Zeit die Wunden geheilt hat. Nicht erst, wenn ich wieder laufen kann. Sondern im Fallen, im Liegen im Dreck des Lebens, im Stehn auf den Scherben … Trost.

Mit ihm an der Seite… Vertrauen.

Leben…

Sei uns nahe, Gott.

Amen.



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