Welt ging verloren - freue dich, o Christenheit

Predigt zu Johannes 3,16-21 in der Christvesper 2016

Liebe Gemeinde,

damit alle unter uns, die sich selbst verloren haben angesichts der Läufe ihres Lebens oder mit dem Blick auf diese Welt, damit alle, die sich selber verloren haben oder glauben, verloren zu sein, damit wir also wieder ins Leben finden, darum wird uns zu dieser Weihnacht als Predigttext aus dem Johannesevangelium das Wort des Lebens gesagt:

Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde. Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er hat nicht geglaubt an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes. Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse. Wer Böses tut, der hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden. Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind.

Etwas verloren, liebe Gemeinde, stelle ich ihn mir vor, wie er in der Nacht durch die Gassen Jerusalems irrt, um den zu finden, von dem er hofft, Antworten zu hören. Antworten, auf Fragen, die sich ihm stellen, ihm, Nikodemus, dem gelehrten Pharisäer, Angehöriger des Hohen Rates, Amtsträger.

Man ist so schnell geneigt zu glauben, dass die, die Ämter haben, dass die auch Antworten hätten auf all die Fragen, die sich uns Normalbürgern so stellen. In Zeiten, in denen die, die einfache Lösungen verkaufen, Siege davon tragen, ist es ja nicht leicht, zuzugeben, dass man selber nicht weiß, wie es gelingen soll. Dass man selber mehr Fragen als Antworten hat. Dass man ehrlicherweise nicht alle Probleme lösen kann und selbst die, die wir lösen können, werden nicht ideal sein. Es wird Verlierer geben.

Geschweige denn, dass man dazu steht, als Amtsträger dazu steht, zu zweifeln: am Gutem im Menschen und an einem Gott, der allmächtig und liebend zu gleich ist…

Die Funktionseliten unseres Landes, die Menschen in Politik, den Medien, in den Religionen, ja auch in den Kirchen tragen mehr und mehr die Bürde ihrer Ämter. Da ehrlich zu bleiben, wahrhaftig und demütig gegen sich selbst, ist schwer.

Die Weltvereinfacher sonnen sich zunehmend im gleißenden Licht ihrer Erfolge. Den andern bleibt die Nacht.

II.
Schlaflos irrt Nikodemus, als Mitglied im Hohen Rat Amtsträger zu Jesu Zeiten, irrt er durch die einsamen Straßen Jerusalems auf der Suche nach einem, mit dem er reden kann: Offen, ehrlich und unverstellt.

Was ihn umtreibt?

Ein Klassiker unter den Schlafräuberinnen: Die Frage, ob es denn noch eine Hoffnung gibt, eine Hoffnung auf ein Neues. Wird sich denn noch einmal was ändern?

Kann ich noch was erwarten vom Leben? Was Neues, Anderes, Besseres?

„Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist?“

Wird das Leben, das vor mir liegt, mehr sein als nur die Anhäufung immer Desselben?

Diese Frage im Gepäck, liebe Gemeinde, ich denke, viele von uns kennen Sie gut. Ob am Anfang meines Weges: Wer bin ich? Was will ich werden? Was soll ich machen, lernen, arbeiten? Wen lieben oder heiraten? Kinder? Karriere?

Oder als Midlife-Crisis in der Mitte Deines Lebens: Beruflich etabliert bis zur Regungslosigkeit. Die Beziehungen in Routinen erstarrt. Und dazu die Angst davor, alt zu werden.

Oder dann, wenn du den Beruf an den Nagel hängen kannst, der Ruhestand angeblich wohlverdient gekommen ist und du dich fragst, was denn jetzt noch drin ist, in dem Leben vor deinen Füßen.

Liebe Gemeinde, die Frage nach dem Leben, das vor uns liegt, treibt uns so manche Nacht durch die Zimmer und Gassen.

III.
Nikodemus findet Jesus. Und in ihm den, der seinem verlorenen geglaubten Sinn einen Ort gibt: Das Leben.

Wenn es einen Sinn gibt, den sich zu finden lohnt, dann ist er im geglaubten Leben und im gelebten Glauben zu finden.

„Also hat Gott die Welt geliebt, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. – Wer an ihn glaubt… der kommt zu dem Licht…““

a.)
Das geglaubte Leben zuerst: Dieses Leben, mein Lieber, das du lebst, ist geliebtes Leben. Und weil es geliebtes Leben ist, ist es ewiges Leben.

Gott hat diese Welt geliebt, keine andere. Darum ist er als Mensch in diese Welt gekommen. Diese Welt, die niemals und nirgendwo perfekt war, niemals und nirgendwo nur gut, niemals und nirgendwo gerecht: Wir wissen das nicht erst seit dem 11. September 2001 oder dem 19. Dezember 2016, haben eine Ahnung davon nicht nur in Berlin, Aleppo, Nizza, Istanbul, Brüssel, Paris, Palmyra, Mossul…

Aber es ist, es ist diese Welt, die Gott liebt. Nicht weil er sie liebenswert findet, sondern weil er sie liebenswert machen will.

Weil Gott sich in diese Welt begibt und dieses Leben lebt, ist diese Welt der Ort Gottes, nicht eine jenseitige oder zukünftige. Und dieses Leben, mit all seiner Brüchigkeit und Verlorenheit, mit all dem, was sich falsch anfühlt und schlecht läuft, dieses Leben ist ewiges Leben, nicht ein zukünftiges am berühmten Sankt Nimmerleins-Tag.

Ewiges Leben, liebe Gemeinde, ist keine zeitliche Kategorie – kein Leben, dass erst nach dem Tod beginnt und dann ohne Ende ist. Ewiges Leben ist keine zeitliche, sondern es ist eine qualitative Kategorie.

Ewiges Leben ist Leben, dass hier und jetzt darum weiß, dass es von Gott geliebt ist, dass Gott in ihm geheimnisvoll gegenwärtig ist.

Das Gott Mensch wurde, liebe Gemeinde, wie wir es Jahr für Jahr feiern, macht dieses Leben und diese Welt zum Schauplatz Gottes.

b)
Wer das glaubt, sagt Jesus, geht nicht verloren, sondern entdeckt, dass das geglaubte Leben nach gelebtem Glauben ruft. Dass diese Welt nicht bleibt, wie sie ist, darum hat Gott die Welt geliebt. Seine Liebe findet uns nie liebenswert vor, aber sie macht uns liebenswert.

Darum ruft das geglaubte Leben nach dem gelebten Glauben.

Ruft danach, dass wir beginnen dieses Leben wertzuschätzen, zu achten, zu schützen, zu gestalten, zu leben.

Dass wir es ergreifen.

Es zieht sich ja wie ein roter Faden durch das Johannesevangelium:
Das Leben ist da – und Glaube heißt, es zu leben.
Das Licht ist da – und Glaube heißt, darin zu wandeln.

Aber die Menschen haben es nicht ergriffen.

Gericht, diese immer wieder missbrauchte Idee einer Gerechtigkeit, Gericht ist, das Leben zu verpassen, sich in ihm und seinen Wirren zu verlieren.

Gott aber ist nicht gekommen, zu richten, sondern zu retten. Menschen zu helfen, das Leben zu finden, nicht den Tod.

IV.
Liebe Gemeinde,

vor wenigen Tagen hat ein vermutlich religiös verblendeter Mensch sich das Recht genommen, anderen Menschen das Leben zu nehmen. Vermutlich in der Überzeugung, das Rechte zu tun.

Die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, sagt Jesus.
Und sie tun das Böse.

Gegen diese Erfahrung gilt es einmal mehr, das Leben zu lieben.
Es zu leben, zu genießen, zu gestalten – für mich ist das gelebter Glaube.

Den Feinden des Lebens mit der Liebe zum Leben und der Liebe zur Welt und den Menschen zu begegnen, liebe Gemeinde, das heißt in diesen Weihnachtstagen Nachfolge Jesu Christi.

„Welt ging verloren, Christ ist geboren – freue dich, freue dich o Christenheit“.

Dieser Trotz, die Weihnachtsfreude gegen die Verlorenheit der Welt zu leben, ihr Lieben, das ist das Zeugnis, das in diesen Tagen gelebter Glaube ist: Freue dich, freue dich o Christenheit.


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